Gregor Bühl
Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz
Aus dem eigenen Schatten treten
Der ungarische Komponist Miklós Rózsa wurde für seine Filmmusik-Kompositionen gefeiert und geehrt. Doch was wenige wussten: Miklós Rózsa komponierte Filmmusik zunächst aus reiner Geldnot. Eigentlich wollte er sich viel lieber seinen, wie er es nannte „seriösen“ Kompositionen widmen. Selbst auf dem Höhepunkt seiner Filmmusik-Karriere war es ihm noch so wichtig, dass er sich als Bedingung im MGM-Vertrag mehrere Monate im Jahr Urlaub zum „ernsthaften“ Komponieren aushandelte. Auf diesem Album rücken der in Hannover lebende Dirigent Gregor Bühl und die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz drei ganz besondere sinfonische Werke in den Fokus. Gregor Bühl ist überzeugt: „Diese Musik ist so ursprünglich und zugänglich, dass man sie auf Anhieb als Zuhörer eines Konzerts verstehen kann.“
Drei gewonnene Oskars und 17 Nominierungen kann Miklós Rózsa vorweisen. Aus seiner Feder stammen Filmmusiken der Klassiker »Spellbound« (deutscher Titel: «Ich kämpfe um dich» von Alfred Hitchcock, 1945) und „Ben Hur“ (von William Wyler, 1959). Der riesige Erfolg seiner Filmkompositionen überschattete jedoch den seiner anderen Werke.
„Es ist Zeit, das konzertmusikalische Schaffen von Miklós Rózsa aus dem Schatten seines Hollywood-Erfolgs zu befreien“, sagt Gregor Bühl.
Doch zunächst sollte es anders kommen. Ursprünglich standen nämlich Violin- und Cellokonzerte auf dem Aufnahmeplan. Die sorgfältige Vorbereitung war jedoch plötzlich in Gefahr als Solo-Violine und Solo-Cello zwei Tage vor Beginn der Aufnahmen in der Philharmonie Ludwigshafen krankheitsbedingt absagen mussten. Anstatt gleich das Handtuch zu werfen, wurde quasi über Nacht Orchestermusik von Miklós Rózsa zusammengetragen. Nicht alle Noten waren in einwandfreiem Zustand, aber man entschied sich, drei der insgesamt sechs möglichen symphonischen Werke aufzunehmen. Von diesen war das Material in so guten Zustand, dass es dem Orchester möglich war, vom Blatt zu spielen und die Aufnahmen ohne große Vorbereitungszeit tatsächlich zu bewältigen.
Die Overture to a Symphony Concert, Op. 26a ist der fulminante Auftakt dieser Aufnahmen mit großer Gestik gleich zu Beginn. Die Fanfaren verraten unmittelbar die Nähe des Komponisten zur Filmmusik. Rhythmus und Tonalität dagegen lassen seine volksmusikalischen Wurzeln nur erahnen. Seine Leipziger Konservatorium-Erziehung stellt die Ouvertüre schließlich auf eine solide kompositorische Basis.
Nach seinem Studium in Leipzig ging Miklós Rózsa zunächst nach Paris und dann weiter nach London. Einige seiner „seriösen“ Werke wurden dort von führenden Künstlern der Zeit zur Aufführung gebracht, was ihm einen gewissen Respekt einbrachte. Die ständige Geldnot zwang ihn jedoch immer wieder zurück zur Filmmusik. So entwickelte sich ein Doppelleben zwischen „hehrer Konzertkunst“ und „einträglichen Auftragskompositionen“ für die Filmindustrie, was in seiner bewegten Autobiografie, „Double Life“ thematisiert wird.
Das zweite Werk des Albums, Hungarian Serenade, Op. 25 ist eine offene Liebeserklärung an die Musik seiner Heimat. Sie entstand in den 1930er Jahren zunächst für Streicher als Op. 10. Miklós Rózsa begann schon früh die magyarische Volksmusik seiner Heimat zu transkribieren und für seine eigenen Kompositionen nutzbar zu machen. Auf Empfehlung seines älteren Kollegen, Ernö von Dohnányi arrangierte er das Stück effektvoller und ließ am Schluss eine schnelle „Danza“ an Stelle einer Wiederholung des einleitenden Marsches erklingen. Eine weitere Überarbeitung hinsichtlich der Orchestrierung erfolgte aufgrund der Begegnung mit Richard Strauss, die Miklós Rózsa „wie ein Treffen mit Beethoven“ bezeichnete. Erst 20 Jahre später entstand die finale Fassung für kleines Orchester nun unter anderem mit zwei Hörnern statt einem, und mit zwei hinzugefügten orchestrierten Sätzen aus seinen „Bagatellen“, op. 12, für Klavier.
Das Beste kommt zum Schluss: Die Tripartita, Op. 33 entstand nach einer Anfrage von Breitkopf & Härtel, dem langjährigen Verlag von Miklós Rózsa, der sich ein substanzielles Orchesterwerk wünschte. Laut Gregor Bühl ist es auch genau das geworden: „Ein starkes symphonisches Stück, das sehr komplex in der Behandlung des Rhythmus und der harmonischen Abläufe ist“. Besonders die raffinierte Orchestrierung zeigt großes kompositorisches Wissen. Als Miklós Rózsa die Tripartita komponierte, ist er bereits über 60 Jahre alt. Seine jahrzehntelange kompositorische Erfahrung ist in diesem bedeutenden Werk hörbar.
Die drei hier präsentierten sinfonischen Werke sind eine wunderbare Einführung in die andere Seite des Komponisten Miklós Rózsa und beweisen eindrücklich, dass die Musik des 20. Jahrhunderts außerordentlich viel Spaß machen kann.
Mehr Informationen zu Miklós Rózsa finden Sie im CD-Booklet, verfasst von Jens F. Laurson. Dazu auch Informations-Texte über Gregor Bühl und die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz.
Eine Co-Produktion der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Deutschlandfunk Kultur, Südwestrundfunk und Capriccio.