Klenke Quartett
30 Jahre Klenke Quartett
Keine Formation der klassischen Musik hat einen ähnlichen Nimbus wie das Streichquartett. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war es eine reine Männerdomäne. Unvorstellbar etwa, dass in Beethovens Schuppanzigh-Quartett eine Frau mitgespielt hätte. Heute sind gemischte Besetzungen in unterschiedlichen Anteilen die Regel, von drei Männern mit einer Frau bis zu drei Frauen mit einem Mann. Ein reines Frauen-Quartett aber ist noch immer die Ausnahme. Und wenn ein solches Ensemble wie das Klenke Quartett sogar noch dreißig Jahre in dersel-ben Besetzung spielt, ist dies nicht nur ein Grund zum Feiern, sondern auch ein Beweis für die erreichte Gleichberechtigung: in die „Königsgattung“ Streichquartett sind vier Königinnen eingezogen. Daraus allerdings ein feministisches Bekenntnis abzuleiten, wäre weit gefehlt. Mit Ideologie haben die vier aus der ehemaligen DDR stammenden Musikerinnen mit christlichem Hintergrund nichts am Hut. Das Quartettspiel war kein Akt der Emanzipation, sondern künst-lerische Erfüllung, die von der Familie liebevoll mitgetragen wurde. Wie privilegiert sich die Klenkes dabei fühlen dürfen, wurde ihnen vor allem bei ihren beiden Auftritten im Iran bewusst. In Shiraz, Partnerstadt von Weimar, machten sie auch die Bekanntschaft einer Sittenwächte-rin: sie schrieb ihnen die Kleiderordnung für ihren Bühnenauftritt vor – langärmeliger Rollkra-genpulli, lange schwarze Strickjacke und turbanartige Kopfbedeckung –, die nicht nur die At-traktivität der jungen Frauen unkenntlich machte, sondern vor allem das Spielen erschwerte. Und dass sie von ihren männlichen Kollegen, die ihrem Konzertauftritt nachfolgten, einfach übersehen wurden, war eine ebenfalls befremdliche Erfahrung unter Musikern. Wie anders dagegen das Gastspiel in Japan, erzählt Cellistin Ruth Kaltenhäuser, wo sie sich auf Händen getragen fühlten, über die Qualität der Konzertsäle und die Fürsorge der Veranstalter staun-ten, die sogar mit Nadel und Faden hinter der Bühne bereit standen, falls einmal ein Knopf abreißen sollte.
Leidenschaft für das Quartettspiel und eiserne Disziplin bilden die Fundamente des Klenke Quartetts. Allein die Probenarbeit war für die Mütter von insgesamt neun Kindern eine organi-satorische Herausforderung. Und wer sie in Studio und Konzert erlebt hat, weiß, welche höchsten Ansprüche sie an Intonation, Balance, Klang und musikalische Wahrhaftigkeit stel-len. Auch untereinander agieren sie dabei in harmonischer Gleichberechtigung.
Die Ausschau nach neuem Repertoire, oft auch von Komponistinnen, gehört zur Kernarbeit des Klenke Quartetts. Eine Pioniertat war dabei die Beschäftigung mit der deutsch-amerikanischen, 2016 in Berlin gestorbenen Komponistin Ursula Mamlok, die ihre späte Ent-deckung in ihrem Heimatland den Klenkes mitverdankte. Sie stand dem Schönbergkreis nahe, hatte bei Eduard Steuermann Klavierunterricht und konnte die Odyssee ihres Leben und Werks mit verblüffender Selbstironie kommentieren. Ebenfalls beschäftigt sich das Klenke Quartett mit der jungen, 1982 geborenen amerikanischen Komponistin, Geigerin und Sängerin Caroline Shaw, die für ihr im Titel an Bach angelehntes A cappella-Werk „Partita for 8 Voices“ als eine der wenigen Frauen den Pulitzerpreis erhielt. Auch in ihrem Streichquartett „Punctum“ geht es Shaw um Bach: um den Choral „Befiehl du deine Wege“ aus der „Matthäuspassion“. Für die experimentelle Erstaufführung von „Punctum“ ist ein besonderer Ort vorgesehen: die Herderkirche in Weimar. Auch eigene Kompositionsaufträge vergibt das Quartett heute, etwa an den Österreicher Helmut Schmidinger. Seine „Beethoven reflexions“ kombinieren die Klen-kes 2021 mit Beethovens erstem Rasumowsky-Quartett. Und dass sich die Musikerinnen in ihrer Beethoven-Reihe auch dem meist stiefmütterlich behandelten „Harfen-Quartett“ op. 74 annehmen, verdient einen Programm-Lorbeer.
Schon die erste Studioproduktion der Klenkes 1998 war einem weithin vernachlässigten oder besser: verdrängten Werk gewidmet, dem Streichquartett B-Dur op. 8 von Karl Goldmark: es war der Beginn einer äußerst produktiven Zusammenarbeit mit dem SWR in Baden-Baden. Zehn Meisterquartette von Mozart und seine Streichquintette, das a-Moll-Quartett von Men-delssohn, die Quartette plus Sextett von Peter Tschaikowsky und ausgewählte Werke von Schubert wurden im Laufe der Jahre beim SWR aufgenommen und auf CD herausgebracht. Die letzte Aufnahme mit Mozarts Bläserkammermusik erscheint im Jubiläumsjahr 2021. Zu-stande gekommen war der Kontakt über Ulrich Beetz, Geiger im SWR-Sinfonieorchester, Geiger des Abegg-Trios und Professor für Kammermusik in Weimar. Er habe da „ein sehr begabtes Quartett“, erzählte er eines Tages – ob der SWR nicht Interesse an einer Aufnahme habe?
Den Erfolg des dreißigjährigen „Lebens zu viert“ macht nicht zuletzt die Arbeitsteilung aus: Annegret Klenke, die Primaria, ist für die inneren Angelegenheiten des Quartetts zuständig. Beate Hartmann an der zweiten Geige übernimmt gern die Rolle der Pressesprecherin, Brat-scherin Yvonne Uhlemann ist Finanzministerin und Ruth Kaltenhäuser Außenministerin – von der Programmgestaltung bis zur Antragstellung für Fördermittel.
Zum Teilen gehört ferner ihre Vorliebe, mit anderen Musikern zusammen aufzutreten, etwa dem Pianisten Martin Stadtfeld, dem Bratscher Harald Schoneweg in Mozarts Streichquintet-ten oder dem Auryn-Quartett in Mendelssohns Oktett op. 20: „vier Frauen aus dem Osten mit vier Herren aus dem Westen“, kommentiert Ruth Kaltenhäuser diese spezielle deutsch-deutsche Besetzung. Teilen wollen sie nicht zuletzt ihre Erfahrungen in einer eigenen Konzert-reihe, die sie 2003 unter dem Namen „Auftakt“ in Weimar gegründet haben und für die sie noch Norbert Brainin als Kurator gewinnen konnten – auch dies eine besondere Anerkennung durch den Primarius des Amadeus-Quartetts, eines legendären „Männerquartetts“ des 20. Jahrhunderts, für ein selbstbewusstes weibliches Nachwuchs-Ensemble.
Eines ist jedenfalls gewiss: die Klenkes bringen Leben in die Bude. Es wird erzählt, gelacht, badischer Wein verkostet, es werden Erinnerungen ausgegraben, an die Kurse bei Norbert Brainin (das Amadeus-Quartett hatte sich 1987 nach fast vierzig Jahren aufgelöst), an eine vergessene Geige, an wundersame Rettungsgeschichten in kalten Winternächten, an die Witze von Altbundespräsident Johannes Rau, den sie noch ganz jung nach Südamerika be-gleitet hatten. Familiengeschichten bleiben dabei außen vor, es wird streng getrennt zwischen Beruflichem und Privatem. Und am nächsten Morgen sitzen sie wieder auf der Bühne des Aufnahmestudios, als wäre nichts geschehen. Sie sind hart im Nehmen und verlieren nie die Fassung, auch wenn unvorhersehbare Ereignisse eintreten, wie etwa der plötzliche Ausfall ihres Lieblingstonmeisters. Dessen anfängliche, noch typisch männlichen Bedenken, ob das denn wirklich etwas sei mit vier Frauen, hielten nicht lange an – bald wusste er nicht mehr, in welche der vier er sich zuerst verlieben würde.
(Text: Lotte Thaler)