Ragna Schirmer
„Axel Ranisch, Ragna Schirmer und Matthias Daneck rühren mein Herz! Sie retten all‘ die wunderbaren lyrischen Buchstabenblumen aus dem versunkenen Vineta namens DDR!“ Katharina Thalbach
Auf dem Doppelalbum „VolkseigenTon“ erklingen Lyrik und Musik aus vierzig Jahren DDR-Geschichte, gelesen und gespielt vom Autor, Schauspieler und Regisseur Axel Ranisch, der Pianistin Ragna Schirmer sowie Schlagzeuger Matthias Daneck. Das Album erscheint am 4. Oktober 2024 bei Berlin Classics. Die drei Künstler eröffnen ein Kaleidoskop von sehr persönlichen Gedichten mit privaten Themen bis zu politischen Liedern im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Widerstand. Bekanntes mit Wiedererkennungswert steht dabei genauso im Fokus wie Unbekanntes und zu Entdeckendes. Eine akustische Reise in unsere jüngere Vergangenheit und eine Auseinandersetzung mit vier Dekaden Geschichte, die unsere Gegenwart nach wie vor prägen.
„Das Thema „deutsch-deutsche Geschichte“ beschäftigt uns“ beginnt Ragna Schirmer die Erläuterung, wie es zu diesem Album kam. Sie selbst wurde in Hildesheim geboren, lebt aber seit den 90er Jahren in Halle an der Saale. „Einteilungen in „Ost“ und „West“ sitzen tief in den Köpfen der Gesellschaft und haben Einfluss auf Kunst und Kultur und den Umgang der Menschen miteinander. Grund genug, die Frage nach dem „Ton des Ostens“ zu stellen: Wie klang die DDR? Mit welchen stilistischen Mitteln drückten sich Künstler in einem Staat aus, der von Unfreiheit und Restriktionen, von Ideologie und Überwachung geprägt war? Welche Aussagen waren politisch, was blieb privat?“ Diesen Fragen geht sie zusammen mit Axel Ranisch und Matthias Daneck nach. Ausschlaggebender Punkt war eine Anfrage des MDR Musiksommers nach einem Programm mit Lyrik und Musik aus der DDR. Das Konzert vom 05.10.23 aus Dessau ist unter dem Titel „Ich mache ein Lied aus Stille“ immer noch als Video in der ARD-Mediathek abrufbar.
Auf der Suche nach Repertoire stießen die drei befreundeten Künstler auf immer neues, teilweise unveröffentlichtes Material. In einem aktuell erschienenen Essay in der Zeitschrift Piano News schreibt Ragna Schirmer: „Wir haben in Zusammenarbeit mit dem Journalisten und Dramaturgen Stefan Petraschewsky Menschen unseres Umfelds nach ihren Lieblingsgedichten befragt, haben Bekanntes und Unerhörtes geordnet und zu Themenblöcken zusammengefasst. Dabei fiel uns immer wieder auf, dass das Politische stets untrennbar mit dem Leben in der DDR verbunden war, selbst für diejenigen, die sich dem System entziehen wollten. Der scheinbar umfassende Begriff „Frieden“ beispielsweise wurde vom System ideologisch missbraucht und umgedeutet. Das macht es heute schwierig, Gedichte von Brecht oder Johannes R. Becher zu lesen, ohne sie in einen historischen Kontext zu stellen. Jeder Hörer hat seine eigene Geschichte und teilweise extrem starke Gefühle von Sympathie oder Antipathie.“ Dennoch, oder gerade deswegen, wagen sie den Versuch und präsentieren die von ihnen ausgewählten Gedichte auf einem Doppelalbum. Umrahmt werden diese von Musikstücken aus der DDR-Zeit. Auch diese Werke sind im historischen Kontext zu betrachten: Paul Dessau, beispielsweise ein Komponist jüdischer Abstammung, erlebte nach seiner Rückkehr aus der Emigration den Sozialismus zunächst als eine Lebensform, an die er glaubte. Er entschied sich bewusst, am Aufbau dieses Staates mitzuwirken, geriet jedoch später in Konflikt mit der DDR. Georg Trexler war und blieb Kirchenmusiker und entsprach keineswegs der ideologischen Konformität. Hanns Eisler, ursprünglich Österreicher, wurde vom Staat als Komponist der Nationalhymne betrachtet und vereinnahmt.
„Selbstverständlich ist eine Zeitspanne von vier Jahrzehnten zu kurz, um Musik und Lyrik als „typisch“ zu klassifizieren“ weiß auch Ragna Schirmer „Ein Dichter oder eine Komponistin, die zur Zeit der DDR-Gründung in der Mitte ihres Lebens standen, haben diese Epoche völlig anders erlebt als jemand, der in die DDR hineingeboren wurde. Unter denjenigen, deren Werke wir für dieses Album ausgewählt haben, finden sich sowohl Nutznießer eines Unrechtsstaates als auch Widerständler. Es gab solche, die blieben, und andere, die gingen oder sogar ausgewiesen wurden, wie beispielsweise Wolf Biermann.“
Um die Auswahl plastisch zu verdeutlichen, markante Akzente zu setzen und die Gedichte ohne verbale Erklärungen kommentieren zu können, wurde der herausragende Schlagzeuger Matthias Daneck gebeten, zwischen den Gedichten zu improvisieren und sie somit subtil zu kommentieren. Darüber hinaus steuert er auf dem Album einige Original-Kompositionen der DDR für Schlagwerk bei. Der in Ost-Berlin geborene Axel Ranisch lässt Gedichte aus den Jahren 1949-1990 mit seiner wunderbar wendigen Stimme und der ihm eigenen Genauigkeit und Liebe zum Detail lebendig werden.
Dieses Album ist ein Kammerspiel, das sich intensiv mit der Vergangenheit auseinandersetzt und einen Blick in eine Zeit eröffnet, die unser Denken, Fühlen und Handeln bis heute beeinflusst, ob bewusst oder unbewusst. Für Ragna Schirmer, Axel Ranisch und Matthias Daneck ist es ein zutiefst persönliches Werk. „Es soll den Horizont erweitern und uns zeigen, wie wichtig es ist, die Vergangenheit zu kennen und sich der Bedeutung eines kultivierten, verantwortungsvollen Umgangs miteinander bewusst zu sein“, so Ragna Schirmer.
*Bei der Zusammenstellung und Produktion stellte sich heraus, dass viele der Gedichte und Texte schon lange vergriffen, oder durch verschiedene Verlagswechsel nicht mehr eindeutig zuzuordnen waren. Aus diesem Grund wird dieses Doppelalbum als Hörbuch vornehmlich bei audible und apple, aber nicht bei den freien Streaming-Plattformen erhältlich sein. Deswegen haben sich die drei Künstler und das Label Berlin Classics dazu entschieden, für das Album ein ausführliches und sehr persönliches Booklet mit Interviews, Texten und vielen privaten Fotos beizulegen.*