Matthias Kirschnereit
MUSIKALISCHE BEZIEHUNGSGEFLECHTE
Ein Klavierrezital zu Richard Wagner – dem Schöpfer monumentaler Musikdramen – zu widmen, ist ein kühnes Unterfangen. Doch der Pianist Matthias Kirschnereit wagt mit seinem neuen Album „Wagner Liaisons“, das am 10. Oktober 2025 bei Berlin Classics erscheint, genau dieses Abenteuer. Er öffnet damit eine Tür in einen wenig beleuchteten Raum der Musikgeschichte: Wagners Klavierminiaturen, die, fernab der Opernbühne, als intime musikalische Reflexionen erscheinen. Kirschnereit beschränkt sich dabei jedoch nicht auf Wagner allein, sondern stellt dessen Werke in einen vielschichtigen Dialog mit Musik anderer Komponisten. Bemerkenswert ist: Es handelt sich bei den korrespondierenden Tonschöpfern ausnahmslos um Musiker, die stark von Richard Wagner beeinflusst wurden. So entsteht ein faszinierendes musikalisches Beziehungsgeflecht, das Wagner als Künstler und Mensch in all seinen Widersprüchen beleuchtet.
Im Zentrum der Aufnahme steht Wagner selbst – und doch sind es gerade die Verbindungen zu seinem Umfeld, die die Dramaturgie des Albums bestimmen. Besonders präsent ist Mathilde Wesendonck, Wagners Muse und Inspirationsquelle, der nicht weniger als vier der acht ausgewählten Stücke gewidmet oder von ihr inspiriert sind. Die berühmte „Eine Sonate für das Album von Frau M.W.“ gewährt Einblicke in die Gepflogenheiten der Zeit. Das Werk, 1853 in Zürich entstanden, bewegt sich zwischen Salonstück und Sonate, zwischen musikalischem Nachsinnen und romantischer Fantasie. Es ist ein klingendes „Vergissmeinnicht“, das in seiner volksliedhaften Schlichtheit und dramatischen Steigerung einen ganz eigenen Zauber entfaltet.
Wagners Zeit in der Schweiz, seine Jahre in Zürich und Luzern, bilden den historischen Hintergrund des Albums. Hier schuf er nicht nur bedeutende Werke, sondern auch zahlreiche Klavierstücke, die als musikalische Widmungen und Albumblätter entstanden. Das „Albumblatt für E.B. Kietz“, später als „Lied ohne Worte“ bekannt, entstand 1840 in Paris während Wagners „Hungerjahren“. Dass gerade Mendelssohn – von Wagner später antisemitisch diffamiert – als Namensgeber für diese Gattung diente, ist eine bittere Ironie der Musikgeschichte. Kirschnereit setzt Mendelssohns eigenes „Lied ohne Worte“ op. 38 Nr. 3 in derselben Tonart E-Dur daneben und offenbart so einen feinsinnigen musikalischen Dialog.
Die „Ankunft bei den schwarzen Schwänen“ und das „Nocturne“ von Georges Bizet führen das Motiv der Liaison weiter – Bizet, der später von Nietzsche als Antipode Wagners gepriesen wurde, verbindet in seinem Stück Virtuosität mit impressionistischer Klangmagie. Nietzsche selbst ist mit seiner Miniatur „So lach doch mal“ vertreten, während Wagner mit seiner humorvollen „Polka“ für Mathilde Wesendonck kontert. Auch Anton Bruckner, der devoteste Wagner-Verehrer, wird mit der innigen „Erinnerung“ gewürdigt – ein seltenes Klavierstück des Meisters der großen Form.
Die Auswahl der Stücke folgt dabei nicht nur historischen oder biografischen Bezügen, sondern auch musikalischen Assoziationen. Kirschnereit spricht von „Liaisons“, von Zweierbeziehungen, die sich in verwandten Tonarten, korrespondierenden Charakteren oder thematischen Verbindungen offenbaren. So begegnet man im „Notenbrief für Mathilde Wesendonck“ und im „Albumblatt“ des jungen Rued Langgaard der Nachwirkung Wagners bis in die Spätromantik.
Ein besonderes Highlight des Albums sind drei Ersteinspielungen: Joseph Rubinsteins „Musikalische Bilder aus »Der Ring des Nibelungen«“ (eine faszinierende Opernparaphrase auf Wagners „Siegfried“), Hans von Bülows feinsinnige Miniatur „Innocence (Poco rubato)“ sowie Joachim Raffs spritziges „Scherzo in c-Moll, Op. 3: Allegro molto“. Diese Werke erweitern nicht nur das Repertoire, sondern machen das Album zu einer echten Entdeckungsreise für Wagner-Freunde und Klavierliebhaber.
Das Album schließt mit einer besonderen Gegenüberstellung: Joseph Rubinsteins „Musikalische Bilder aus dem Siegfried“ – eine glanzvolle Opernparaphrase – trifft auf Franz Liszts nachdenkliches „Am Grabe Richard Wagners“. Liszt, ohne den Wagner viele seiner Opernziele nie erreicht hätte, setzt mit seinem musikalischen Nachruf einen versöhnlichen Schlusspunkt unter ein bewegtes Künstlerleben.
Für Matthias Kirschnereit ist diese Reise durch Wagners Klavierkosmos eine Entdeckungsfahrt in musikalisches Neuland: „Die Klänge Wagners haben für mich zuweilen etwas süchtig Machendes! Ein Funken Lohengrin oder ein kurzer Moment Tristan auf 88 Tasten!“ In „Wagner Liaisons“ spürt man diese Faszination in jedem Takt – als Einladung, Wagner abseits der großen Bühne neu zu entdecken und die feinen Verflechtungen seines musikalischen Umfelds zu erleben.