Fjarill
WALDEN
Da ist dieses tiefe Gefühl von Vertrauen. In die Freundschaft. In die Intuition. In die Musik. Mit „Walden‟ veröffentlicht das Hamburger Duo Fjarill sein nun mehr zehntes Album. Und auf dieser Jubiläumsplatte ist überdeutlich zu hören: Hanmari Spiegel und Aino Löwenmark sind in ihren Kompositionen im allerbesten Sinne kompromissloser geworden. Ihre Verbindung ist so innig, dass sie auf dieser Basis ganz befreit aufspielen können. Experimentell und eingängig. Gewitzt und aufreibend. Fordernd und zart empfunden. Zwei charakterstarke Frauen. Und zwei faszinierende Lebensgeschichten. Hanmari aus Südafrika, Aino aus Schweden, gefunden und geblieben in Hamburg. Ihre Familien längst miteinander verwoben. Gemeinsam haben sie gelitten und geliebt, sich ausprobiert und beflügelt. All diese Erfahrungen schwingen mit und machen Fjarill zu einem ganz eigenen musikalischen Ereignis, das die Welt in ihrer Vielfalt umarmt und ihre feinen Zwischentöne funkeln lässt. Wenn Hanmari luftig und intensiv ihre Geige spielt, wenn Aino akzentuiert und einfühlsam ihr Piano erklingen lässt, wenn sie einzeln oder zusammen singen auf Schwedisch, Afrikaans, Zulu und Deutsch, dann entfesselt das eine mit- und hinreißende Dynamik, die sich wie der namensgebende Schmetterling spielerisch zwischen Folk, Pop, Klassik und Jazz bewegt.
Der Titel des Jubiläumsalbum – „Walden‟ – steht zunächst ganz konkret für das gemeinsame Studio im Hamburger Norden. Ein Ort, wo sich Aino und Hanmari stets aufs Neue künstlerisch begegnen. Und wo sie regelmäßig ihre musikalische Familie versammeln. Bei den aktuellen Aufnahmen erweitern Ainos Mann Jürgen Spiegel am Schlagzeug und Omar Rodriguez Calvo am Kontrabass den kreativen Kreis. Die beiden Musiker, die sonst beim renommierten Tingvall Trio agieren, reichern den Sound von Fjarill mit spannungsgeladenen Details an. Jürgens Bruder Hans-Georg Spiegel, zugleich Ehemann von Hanmari, ist am Akkordeon zu hören. Und improvisatorische Elemente fügt der Jazzpianist und Komponist Jens Thomas hinzu. An drei Tagen wurde das Album live eingespielt – im Walden-Studio sowie im Studio Fattoria Musica in Osnabrück. „Alles auf dem Album ist sehr durchlässig, impulsiv und ungezwungen‟, erzählt Aino. „Wir haben weniger strikt nach Noten gespielt, sondern vielmehr nach Emotionen.‟
Ganz so, wie das Wurzelwerk im Wald unterirdisch miteinander verbunden ist, speist sich auch die Musik von Fjarill aus ihrem weit verzweigten Netzwerk. „Unsere Familien, Freunde und auch unsere treuen Fans stecken in all unseren Melodien‟, sagt Hanmari. Und Aino ergänzt: „Das Verhältnis zu unseren Söhnen zum Beispiel spiegelt sich in dem Prozess wider, wie wir Musik machen. Wo setze ich Grenzen? Wie viel Freiraum gebe ich? Welche Gefühle lasse ich zu?‟ Parallel zu Fjarill hat Aino eine Ausbildung zur Musiktherapeutin gemacht und arbeitet auch mit Hanmaris Sohn, der 21 Jahre alt ist und mehrfache Behinderungen hat. Unter anderem im Austausch mit ihm lernen Aino und Hanmari immer wieder neu, wie essentiell und anregend eine Kommunikation ohne Worte ist. Allein mit der Kraft der Musik.
„Unsere Lieder sind dazu da, absolut aufeinander einzugehen‟, sagt Hanmari. Eine unmittelbare Energie, die sich direkt auf das Publikum überträgt. Ein einzigartiges Gefühl zwischen Seelenschau, Euphorie und Inspiration, das nachhaltig begeistert. Wie sehr die Fans ihren „Fjarills‟ vertrauen, zeigt auch das erneute Crowdfunding, mit dem das Jubiläumsalbum finanziert wurde. Stolze 22.322 Euro kamen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Schweden und Südafrika zusammen, um „Walden‟ Wirklichkeit werden zu lassen. Und diese spezielle kollektive Atmosphäre, die Fjarill erschafft, ist auf Konzerten des Duos besonders eindringlich zu erleben. Wenn die Menschen leise lächelnd lauschen. Wenn sie sich an dem schönen starken Band zwischen Hanmari und Aino erfreuen. Wenn sie sich tief berühren lassen und ihre Herzen mit der Musik emporfliegen können. Und vor allem wenn sie gemeinsam mit Fjarill singen. Wenn dann auf einmal gar nicht mehr so klar ist, ob sich das Publikum in einem Konzertsaal oder in einer Kirche befindet, an den schwedischen Schären oder in der südafrikanischen Steppe, versunken im eigenen Innern oder weit draußen am Horizont. Das Wort „Walden‟ atmet somit auch die gesamte Essenz von Fjarill: Im Moment sein, zur Ruhe kommen, die Verbundenheit spüren und den fortwährenden Wandel wirken lassen. Das Urgewaltige ebenso wie das ganz Feine.
„In unseren Liedern kommt immer zum Ausdruck, wo wir gerade stehen im Leben‟, erzählt Hanmari. Insofern sind die zehn Alben, die Fjarill innerhalb von fast 20 Jahren veröffentlicht haben, auch so etwas wie vertonte Tagebücher. Zustandsbarometer für zwei künstlerische Existenzen. Und auf „Walden‟ sind zwei gestandene, eigensinnige wie lebensfrohe Frauen zu erleben, die sich davon verabschiedet haben, unbedingt gefallen zu wollen. Die sich noch eindeutiger auf ihre Kunst fokussieren. Mal konturierter und kantiger, mal freudvoller und fließender. Sinnbildlich für diese Transformation steht „Katharsis‟, ein furioser Ritt von einem Song. Und eine ultimative Aufforderung, sich zu zeigen und sich nicht in sein graues Haus zurückzuziehen. Wie ein rhythmischer Rausch, aus dem sich Aino mit ihrem Gesang erhebt.
„Ich singe mittlerweile viel freier nach außen‟, erzählt Aino. Eindrucksvoll zu hören ist das auch direkt in dem Eröffnungsstück „Tempel‟. Ein Song, der mit einem ätherischen Flirren beginnt, in das sich Ainos Stimme mischt. Ein schwebender, auch melancholischer Gesang, mit dem sie von einem Mann erzählt, der eine heilige Stätte bewundert, sie aber aus Ehrfurcht nicht betritt. Eine behutsame Mahnung, den Dingen ihre Geheimnisse zu lassen. Mit „Tempel‟ hat Fjarill ein Gedicht von Pär Lagerkvist vertont. Auf dem Vorgängeralbum „Poësie‟ hat sich das Duo bereits eingehend mit dem schwedischen Dichter befasst. Doch gewisse Persönlichkeiten und ihre Kunst wirken einfach weiter in die Welt von Fjarill hinein. Sie wollen nach wie vor anverwandelt und zum Klingen gebracht werden. So wie auch Nelly Sachs in dem wunderbar freigeistigen wie irritierend rätselhaften „Abgewandt‟, in dem Fjarill ihre avantgardistische Seite zum Tanz bittet. Und der gute alte Goethe wiederum wird in „Selbstbetrug‟ mal eben als flottes wie geisterhaftes Tango-Chanson interpretiert.
Auf „Walden‟ erkundet Fjarill, wie sich Kindheitserinnerungen und Lebenserkenntnisse im Alter verstärkt verschränken. Die Seele darf durchatmen und ankommen. „Siyakwamukela‟ („Willkommen‟) strahlt diese Gelassenheit und Gewissheit in warmen Tönen aus. Auf Zulu und Afrikaans reist Hanmari da in das Tal der tausend Hügel in ihrer alten Heimat Südafrika und malt sich aus, wie die Frauen eines Dorfes über die Landschaft hinweg singen. Wie ein Mantra oder Gospelsong entfaltet „Siyakwamukela‟ reichlich Trost und Zuversicht. Der beschwingt-verspielte „Höstbossa‟ wiederum erzählt davon, wie sich in der Frische des Herbstes alles klar und beherzt ordnen lässt. Es geht darum, sich zu verabschieden. Von einer Liebe, einem Sommer, einem Lebensabschnitt. Um Platz zu machen für das abenteuerlich Neue und das anders Vertraute. Zu diesem Weg gehört es auch, zwischenzeitig immer wieder innezuhalten: „Sag mir‟ ist eine berührende meditative Ballade, die dem oftmals verborgenen Bedürfnis nachgeht, sich selbst wirklich zu erkennen. Geige und Piano führen sachte in eine Stimmung hinein, um im Hören und Schweigen zu sich zu finden.
Dass vier Songs des Albums in deutscher Sprache gesungen werden, zeigt auch, wie sehr Hanmari und Aino ihr Zuhause in Hamburg gefunden haben. „Unsere Wurzeln mögen in anderen Ländern liegen. Aber die Wurzeln, die wir hier entwickelt haben, geben uns Halt und lassen uns wachsen‟, sagt Hanmari. Die Vielfachverwurzelung von Fjarill in der Kunst und in der Welt mag sich im Laufe des Lebens wie nebenbei ergeben haben, ist aber zugleich eine überzeugt praktizierte Haltung. „Wir brauchen all die Unterschiede in der Natur‟, sagt Aino. „Wir sind gegen Monokulturen. Unser Wurzelwerk ist nur durch die Vielfalt stark.‟ Die selbstverständliche Art und Weise, wie sich Fjarill zu Diversität und Inklusion bekennt, lässt ihre Musik zeitlos und zugleich äußerst zeitgemäß wirken. Auch das Lied „Tro‟ („Glaube‟), das das Jubiläumsalbum „Walden‟ beendet, kündet von dieser Einstellung: Das Lied handelt von der Sehnsucht nach Frieden. Wie sich am Grund des Meeres niemand für Kriege und Machtstreben interessiert. Und am Ende siegt der Optimismus. Mit einem einfachen Vers: „Wir glauben an das Gute‟.